11. Januar 2015

Perpignan. Attentat auf Charlie Hebdo

aber meine Nachricht sieht trotzdem schick aus!

Die Journalisten von France 3 schätzen 20 000, die Präfektur sieht 40 000 Demonstranten, und das bei einer Stadt von 110 000 Einwohnern? Mit "Je suis Charlie" - Zetteln in Händen und am Jackenaufschlag, mit Buntstiften wedelnd, defilieren sie, am Sonntag, um dem Satireblatt "als Bürger Frankreichs" ihre Sympathie und Unterstützung zu erweisen. So formulieren es Bekannte, die ich treffe, und die mir danken, daß ich als Deutsche mit ihnen demonstriere.

"Und was ist mit den ermordeten Juden?" frage ich. "Das ist alles hier symbolisch, Charlie steht für die Freiheit aller." Da teile ich ihnen mit, daß ich nicht demonstriere, sondern nur sehen will, was abläuft.

Wie viele demonstrieren, kann ich nicht einschätzen, 40 000 wären doppelt so peinlich wie 20 000, aber mit dieser Ansicht bin ich in der Minderheit.

Da ich mir zunächst das Schauspiel ersparen will, es soll um 10:30 Uhr auf der Place de Catalogne beginnen, es mir dann aber anders überlege, komme ich eine Stunde später an, als nur noch das Ende des Zuges zu sehen ist. Im Eilschritt hole ich auf und marschiere den gesamten Zug entlang.


Die Demonstration gilt allein Charlie Hebdo, genauer, er gilt den Karikaturisten. 17 Menschen werden von drei entschlossenen islamischen Glaubenskämpfern ermordet, aber der Zug gilt nur fünf der Ermordeten. Dafür stehen die mitgeführten Zeichen- und Buntstifte in allen Größen und Farben. Nirgends sehe ich Zeichen oder Parolen, die auf das technische und Dienstpersonal des Charlie Hebdo deuten, gar auf den Hausmeister, nichts zum Gedenken an die beiden Polizisten, an die zwei Muslime und nichts, das auf die vier im HyperCacher ermordeten Juden weist.

Im Demonstrationszug gibt es kein Kopftuch, kein Häkelmützchen, keine sonstige Islam-Uniform. Es ist allerdings schwierig, im Eilschritt Nordafrikaner von Südfranzosen zu unterscheiden, es mögen also nordafrikanische Muslime mitgelaufen sein. Schwarze sehe ich keine. Ein Bekannter, den ich treffe, versichert, er habe eine Frau mit Kopftuch gesehen. "Und die trug das nicht nur des starken Windes wegen?" Er lacht und zuckt mit den Schultern.


Perpignan zeigt sich im Gegensatz zum Alltag völlig unkostümiert. Es fehlen aber nicht nur die Muslime, sondern auch die Freunde und Anhänger des Front National, sie werden vom regierenden Parti Socialiste nicht eingeladen nach Paris. Marine Le Pen wird in Beaucaire gefeiert, im Departement Gard. Soweit zur beschworenen Nationalen Einheit, die aus maximal Zweidritteln der Bürger besteht.

Der Zug kommt am sonntäglichen arabischen Markt vorbei. Von dort schlagen den Demonstranten unverhohlene Feindschaft und ängstliche Blicke entgegen. Die Menschen wälzen sich an den Marktständen entlang, sie wirken wie Eindringlinge aus einer anderen Welt.

Der Aufruf zur Demonstration forderte auf, keine politischen Zeichen mitzubringen, daran halten sich alle. Eine einzige Trikolore sehe ich, getragen von einem Mann, der anscheinend zu niemandem gehört.

Hin&wieder klatschen die Demonstranten in die Hände. Meist, wenn Leute auf dem Balkon stehen und Je suis Charlie Poster hochhalten. Eine Frau schreibt es auf die Tafel ihrer Tochter. Die winkt dazu zu und kräht: "Je suis Charlie !"

Wir riefen solchen Sympathisanten damals zu: "Bürger, runter vom Balkon, unterstütz' den Vietkong!" Aber solches wäre heute zu viel verlangt.


Gegen 13 Uhr ist der Demonstrationszug wieder an der Place de Catalogne angelangt. Ich schreite die Bahnhofsstraße entlang zu meinem Stamm-Café, das gewöhnlich des Sonntags geschlossen ist, dessen Besitzer aber heute geöffnet hat, nur für Freunde, und ein Affligem-Bier für mich ausschenkt. Das Beste an der ganzen Veranstaltung!