30. Mai 2014

Frankreich demonstriert gegen die Machtübernahme der Nazis



Dem Figaro ist es keine Zeile wert, daß in Frankreich insgesamt einige Tausend Menschen gegen den Front National demonstrieren. In Perpignan sind es mehr als Hundert! Ins Internet schafft es nur eine sehr verkürzte Form des Artikels, der in der Papierausgabe des Indépendant drei Viertel der Seite 2 füllt. Der Artikel auf der Aktualitätenseite über die Demonstrationen in anderen Städten fehlt ganz. Die Schmankerln lassen sie weg, sie müßten sich sonst in den Boden schämen.

Perpignan : les jeunes dans la rue contre l'extrême droite. Perpignan: Die Jugend gegen die extreme Rechte auf der Straße, und das am heiligen Himmelfahrt, ab 10:30 Uhr, da ordentliche Linke sich noch dreimal umdrehen in ihren Betten.


Angeführt wird die Demonstration von der Megaphon-bewaffneten 17-jährigen marokkanisch-stämmigen Muslimin Khedidja Zerouali, Departementssekretärin der Schülergewerkschaft Union nationale des lycéens (UNL). Sie begeistere ihre Truppen [sic!], meint Arnaud Andreu. La secrétaire départementale de l'UNL galvanise ses troupes. Das seien in großer Mehrheit Jugendliche. Das Megaphon dazu gehört der linksradikalen Fédération Syndicale unitaire (F.S.U.), was der Autor nicht erwähnt, sonst würde gar zu deutlich, wer hinter der Begeisterung steht. Die F.S.U. ist eine dem PCF, der Kommunistischen Partei Frankreichs, nahe stehende nationale Vereinigung von 23 Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. Sie hat die jungen Kader im Griff. Die älteren Kämpfer sind auf den Fotos in der Zeitung weggeschnitten, oder es wurde ein anderes Foto eingesetzt, im Internet sieht man in der dritten Reihe noch einige. Auch die schwarze Demonstrantin hinter dem Transparent Le Pen tu nous casses les urnes. Le Pen, du fällst uns auf die Urnen, fehlt in der Zeitung. Der Spruch ist abgewandelt von casser les pieds = jemandem auf den Wecker fallen, jemanden nerven.

Es sind weniger die Schüler- und Studentengewerkschaften als die Linksradikalen um den Front de Gauche, den Nouveau Parti anticapitaliste und der Jungsozialisten hinter der Demonstration, die in Folge des Wahlergebnisses vom 25. Mai 2014 und der Demonstrationen gegen die Heirat von Homosexuellen zeigen sollte, "daß die Straße nicht der extremen Rechten gehört".

Une belle manif de jeunes - ça redonne le moral ! Eine schöne Demo der Jugend - das bringt die Stimmung zurück!

Thomas Le Ster, Präsident [sic!] der lokalen Sektion der Union nationale des étudiants de France (Unef), der Nationalen Vereinigung der Studenten Frankreichs, gesteht gewissermaßen großzügig zu, daß die Demonstranten die Wahlergebnisse vom Sonntag nicht in Frage stellten, aber man wolle zeigen, daß die Studenten nicht resignieren. Gewählt hat die Mehrheit von ihnen nicht, obgleich Kandidaten ihrer politischen Richtung zur Wahl standen. Laut IPSOS-Steria sind 73 Prozent der unter 35-Jährigen nicht zur Wahl gegangen, Frankreichs Durchscnitt: 57 Prozent. Von denen, die gewählt haben, gaben 30 Prozent ihre Stimme dem Front National, fünf Prozent mehr als der Durchschnitt aller Wähler.

The FN is especially successful among young people, schreibt Florence Morice, im eu observer:, vom 28. Mai 2014. Le Pen's success leaves French political establishment in shock. Wer hätte den hohen Wahlsieg geahnt? Wer von den französischen Politikern, Medienschaffenden und sonstigen Eliten hätte sich ein einziges Mal herabgelassen, dem Volk aufs Maul zu schauen?

Sieg und Höhe des Sieges des Front National hätten dann nicht zum Schock geführt.

Die von Arnaud Andreu befragte 26-jährige Muslimin Fadila, eine Studentin, weiß, daß die Lage heute der entspricht, als die Nazis auf demokratischem Wege an die Macht gelangt wären. Solche Äußerung läßt auf das Niveau des in der Universität von Perpignan gelehrten Wissens schließen.



Die Transparente zeigen die Forderungen in Großbuchstaben: Staatsbürgerschaft. Demokratie. Gegen den Front National. Les jeunes dans la rue pour dire non au Front national. Die Jugend auf der Straße, um dem FN nein zu sagen. Dazu wehen auf der Aktualitätenseite 32 des Indépendant die roten Fahnen des linksradikalen Nouveau Parti anticapitaliste: "No pasaran", schrien die Jugendlichen hinaus. Unter dem tut's da keiner.

Erwähnenswert ist dem Indépendant, daß auch die Feministinnenvereinigung Osez le Féminisme! Wagt den Feminismus! zur Demonstration aufgerufen hat. Europawahlen 2014: Der Front national ist der Feind der Rechte der Frauen. Européennes 2014 : le Front national est l'ennemi des droits des femmes ! Das ist in der Tat komisch, denkt man daran, daß Marine Le Pen die Chefin des Front National ist. Außer bei Europe Écologie / les Verts ist sowohl bei linken als auch rechten Formationen nicht viel zu sehen von Parteichefinnen.

Osez le Féminisme ! wird dabei sein in den ideologischen Schlachten und den unumgänglichen Mobilisierungen der Aktivisten zur Wiederherstellung der fortschrittlichen französischen Kräfte.

Osez le Féminisme ! sera au rendez-vous des batailles idéologiques et mobilisations militantes indispensables à la reconstruction des forces progressistes françaises.


Tausende demonstrieren in Paris und ganz Frankreich. Faible mobilisation pour la manifestation contre le FN, bezeichnet Le Monde das am 29./30. Mai 2014. Schwache Mobilisierung für die Demonstration gegen den FN. So ist es!

An der Bastille, der kleinen ausrangierten Bastion, dem Ort, an dem die ex- und noch-Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und François Hollande am 8. Mai 2012 den Sieg Frankreichs über Deutschland feiern, und an dem zwei Tage vorher ein Meer von Fahnen arabischer Staaten und des von Frankreich unterstützten Möchtegern-Staates Palästina geschwenkt wird, um den Sieg des Sozialisten François Hollande in den Präsidentschaftswahlen zu bejubeln, da defilieren am Himmelfahrtstag 4 200 (Polizeiangaben) bzw. 8 000 Demonstranten (Angaben der Organisatoren), ab 14 Uhr gegen den Front National. Am 1. Mai 2002 waren in Paris eine halbe Million, in ganz Frankreich 1,3 Millionen Menschen gegen den Front National und seinen Präsidenten Jean-Marie Le Pen auf den Beinen, darunter auch ich.

Und was die ideologischen Schlachten angeht, so weiß der Philosoph Paul Thibaud dazu im Figaro, am 29. Mai 2014, in einem Gespräch mit dem Korrespondenten Guillaume Perrault: Une idée devient une idéologie quand elle est coupée de tout ce qui pourrait la relativiser, aussi bien la réflexion théorique que la practique sociale et politique.

Eine Idee wird eine Ideologie, wenn sie von allem abgeschnitten ist, was sie relativieren könnte, sowohl in der theoretischen Reflexion als auch in der gesellschaftlichen und politischen Praxis.

Dann wird die Idee totalitär, und alles ist gleich gültig, nämlich gleichgültig. Dort sind die meisten Staaten der EU inzwischen angekommen, in der vollständigen Gleichgültigkeit aller tatsächlichen und eingebildeten Werte. Alles ist Wurst!